Jagdverhalten
Wölfe sind mit bemerkenswerten Fähigkeiten ausgestattet. Sie können fast so gut sehen wie Menschen, wittern ihr Beute über mehrere Kilometer und hören bei Windstille im freien Gelände jeden Schritt im Umkreis von 15 Kilometern. Und sie sind überaus schlau und vorsichtig, also keineswegs blindwütige Angreifer. Sie besitzen übrigens 30 Prozent mehr Hirn als der schlauste Haushund.
Wolfsrudel beobachten ihre Beute genau. Beutetiere in guter körperlicher Verfassung werden nicht angegriffen, man krallt sich aus Gründen der Effizienz die schwächsten, ältesten oder auch nur kranke Tiere. Das spart Kraft und bringt dasselbe Ergebnis
Ist der Wolf der Jäger, und nicht das Opfer, dann benimmt er sich erstaunlich kaltblütig und intelligent. Wenn Wölfe ihre Beute sehen bekommen sie heißhunger, halten sich aber zurück. Sie nähern sich der Beute intensiv geradeaus starrend. Wenn sie ihr nahe genug sind, um einen Angriff zu unternehmen, bleiben sie stehen und betrachten das Opfer einige Sekunden lang eingehend, ehe sie sich bellend und heulend auf es stürzen. Rennt das Opfer weg, jagen sie es; sobald sie jedoch merken, dass sie nicht mithalten können - was oft schon nach wenigen hundert Metern der Fall ist -, geben sie auf. Behauptet sich ein Opfer, zum Beispiel ein Elch, sehen die Wölfe es sich aufmerksam an, um herauszufinden, ob es irgendwelche Schwächen zeigt, die es zu einem weniger gewaltigen Gegner machen. Sie spüren selbst die geringfügigsten Leiden und Verletzungen und achten besonders darauf, ob das Opfer den Kopf stärker senkt als normal oder ob die Reflexe langsamer sind. Häufig genügen wenige Minuten, um ihnen zu sagen, ob sie angreifen sollen oder nicht. Nur wenn sie absolut sicher sind, dass sie ihr Opfer auch überwältigen können, umzingeln sie es. Die Art des Angriffs richtet sich ganz nach dem Opfer. Kleineren Tieren, Karibus oder auch Schafen, springen sie an das Hinterteil, den Bauch oder die Kehle - an jeden verletzlichen Körperteil - und werfen sie um. Bei Elchen müssen sie vorsichtiger und geschickter vorgehen. Ein Elch ist groß und stark. Obgleich er den Wölfen davonlaufen könnte, bleibt er meistens stehen. Wenn er wütend ist, kann er seine Angreifer drei bis vier Meter hoch in die Luft schleudern. Diesem eindrucksvollen Widersacher gegenüber besteht die Technik der Wölfe im allgemeinen darin, sich an die Hinterbeine und an die Nase heranzumachen, wobei sie sorgfältig darauf achten, den flinken, tödlichen Vorderhufen auszuweichen. Da sie genau wissen, dass ein verwundetes Opfer noch gefährlicher sein kann, töten sie es erst dann, wenn es durch den Blutverlust geschwächt ist. Trotz ihrer scheinbaren Geschicklichkeit haben sie eine erstaunlich niedrige Erfolgsquote beim Jagen.
Wölfe haben eine unglaubliche Ausdauer. Die kommt ihnen beim Jagen gut, weil sie ihrer Beute oft Mit den Zähnen kann er das Fell des Opfers aufschlitzen und das Fleisch herausreißen. Kräftige Kiefer und lange Eckzähne erlauben es ihm, sich an einem fliehenden Opfer festzubeißen. Ein Wolf kann niemals sicher sein, woher er die nächste Mahlzeit nehmen wird; er muss deshalb den bestmöglichen Gebrauch von den Tieren machen, die er getötet hat.
Das Wolfsrudel ist eine Funktionseinheit. Bei den Jagdmanövern von Wölfen erkennt man deren hohe Auffassungsgabe und Intelligenz. Jeder Wolf entscheidet anhand von angeborenen und erlernten Verhaltensmustern selbst, was in bestimmten Jagdsituationen zu tun ist. In Sekundenschnelle schätzt er die Reaktion der Beute ein, kalkuliert die Beschaffenheit des Geländes und die bereits von seinen Jagdgenossen ausgeführten Manöver. Diese Beobachtungen baut er in seine eigene Entscheidung mit ein, die auch die Entscheidung des gesamten Rudels sein kann: eine Jagt entweder erfolgreich zu beenden oder den Entschluss zum Abbruch zu treffen.
Ein Wolfsrudel operiert arbeitsteilig. Die individuellen Fähigkeiten der verschiedenen Rudel-Mitglieder werden bedarfsgerecht eingesetzt. Vorsichtige und scheue Wölfe sind für die Gefahrenerkennung zuständig. Selbstbewusste und mutige Tiere stürmen voran, wenn größere Beute geschlagen wird. Die Geduldigen im Rudel kümmern sich ums Kleinwild.